Also erstmal möchte ich kundtun, dass mir sowohl die Verstellmöglichkeiten eines Schlagschraubers als auch die Anwendung eines Drehmomentschlüssels sehr wohl geläufig sind. Ja, lieber wf, ich weiß, dass man Schlagschrauber verstellen kann. 800 Nm am Radbolzen wären ja auch albern.
Mir ist aber auch klar, dass die schönsten Datenblätter nichts nützen, wenn der Druck am Schraubereingang nicht 6,3 bar ist, sondern irgendwo um die 8 bar liegt (weil mit 9 oder 10 bar Systemdruck schneller gearbeitet werden kann).
Was nützen denn Tabellen, die beispielsweise sagen: Stufe 1: 68 Nm, Stufe 2: 100 Nm, ... bei 6,3 bar, wenn man sich für ebendiese Stufe 2 entschieden hat, aber mit 8 bar Fließdruck bei drei Schlägen 130 Nm und nach 5 Schlägen 145 Nm anliegen?
Im Nachhinein kann man das nur sehr umständlich prüfen, indem man eine Setzzeit abwartet und das Losbrechmoment misst. Und selbst das ist damit verbunden, dass man vorher aufwändige Messreihen erstellt hat. Und je nach Materialpaarung reden wir dabei von 5-10% Toleranz.
Fakt ist, dass ALLE Werkstatt- und Reifendienstmitarbeiter einen Schlagschrauber zum Ansetzen der Räder benutzen. Fast alle dieser Mitarbeiter stellen den Schlagschrauber auf eine halbwegs passende Stufe ein und einige prüfen sogar vor dem Anziehen der Schrauben, ob die Einstellung noch so ist wie sie war, falls ein zweiter Mitarbeiter das Werkzeug mitbenutzt. FAST KEINE Druckluftzapfstelle hat einen eigenen Druckminderer.
Und jetzt bin ich mal gemein: Wenn ein Mitarbeiter die Wahl hat, den Schlagschrauber einzustellen, hat er meist zwei Optionen. Erstens zu wenig Drehmoment und jede einzelne Schraube noch mehr als eine halbe Umdrehung nachziehen, dabei den Drehmomentschlüssel 2-3 mal bewegen oder zweitens zu viel Drehmoment und mit der Anzahl der Schläge dosieren und den Drehmomentschlüssel zur Kontrolle >=120Nm nutzen, ohne Nachfassen und mit 30 Sekunden Zeitersparnis pro Fahrzeug. Und diese 30 Sekunden pro Fahrzeug und der weniger hektisch wirkende Drehmomentschlüsseleinsatz können über "Job behalten oder nicht" entscheiden. Da kann ich die zweite Einstelloption durchaus verstehen.
Ob ich die 30% Drehmomentüberschreitung gut finde, steht auf einem anderen Blatt. Mitdrehende Radschrauben, gebrochene Radbolzen oder versaute Naben/Bremstrommeln kommen ja glücklicherweise nicht so häufig vor. Und wenn, dann passiert das ja erst unterwegs oder beim nächsten Radwechsel und dann kann man dem Kunden ja was von "Schlagloch", "Materialermüdung" oder "Gewinderost" erzählen.
Gruß
MadGyver