China befindet sich beim autonomen Fahren an der Schwelle vom Experiment zur breiten Umsetzung. Der Wettbewerb ist bereits so groß, dass selbst Tesla ins Schwitzen gerät.
Autonomes Fahren steht in China kurz vor dem Durchbruch auf den Massenmarkt. Experten stimmen weitgehend darin überein, dass dieses Jahr ein Meilenstein für die Marktreife autonomer Fahrtechnologien im Land sein wird.
So prognostiziert die UBS-Bank für 2025 die „Demokratisierung hoch entwickelter Fahrassistenzsysteme“ im Land. Aufgrund des intensiven Konkurrenzkampfs unter Elektroauto-Herstellern würden fortschrittliche Selbstfahr-Funktionen im Massenmarkt ankommen und nicht länger Premium-Modellen vorbehalten sein. Zhang Yongwei, Chef des chinesischen Elektroauto-Thinktanks EV100, erwartet, dass noch im Laufe des Jahres zwei von drei Neuwagen in China mindestens über eine Level-2-Automatisierung verfügen werden.
Wo China hin möchte, zeigen die autonomen Robotertaxis, die Fahrgäste bereits in 16 Städten chauffieren. Noch sind die Pilotprojekte meist auf Vororte beschränkt und aus Sicherheitsgründen von menschlichen Fahrern begleitet. Doch die Entwicklung ist klar. Mit einer Reihe von Ankündigungen haben Chinas Hersteller ihren Konkurrenzkampf vergangene Woche nochmals verstärkt.
XPeng und Zeekr haben zeitgleich Pläne vorgestellt, noch bis Jahresende erste Modelle mit Level-3-fähiger autonomer Fahrtechnik auf den Markt zu bringen. Das L-System beschreibt fünf Automatisierungsstufen für autonomes Fahren – von Level eins mit einfachen Assistenzfunktionen bis Level fünf, dem vollautonomen Fahrzeug. Ab Level drei kann der Fahrer das Steuer über längere Strecken loslassen, ab Level vier fährt das Fahrzeug weitgehend selbstständig.
Zeekr will sein neues SUV 9X auf der Automesse in Shanghai im April offiziell enthüllen und in der zweiten Jahreshälfte mit L3-Technik ausliefern. XPeng kündigte an, bis Ende 2025 L3-Softwarefunktionen anzubieten und ab 2026 sogar Modelle mit vorbereiteter L4-Technik serienmäßig zu produzieren. Guangzhou Automobile (GAC) erklärte ebenfalls, von 2025 an L3-fähige Modelle anzubieten und bereits an L4-Technologie zu arbeiten. Zudem will GAC gemeinsam mit Huawei eine neue Premium-Marke an den Start bringen.
Die Dichte der Produktankündigungen ist Ausdruck der Wettbewerbsverschärfung. Erst vor einigen Wochen überraschte BYD, der Marktführer für Elektroautos in China, mit der Nachricht, künftig fortschrittliche Fahrassistenzsysteme ohne Aufpreis in den meisten Modellen bereitzustellen. BYD bezeichnet sein System als „God’s Eye“ und bietet es in unterschiedlichen Leistungsstufen an.
Selbst die preiswertesten BYD-Modelle sollen mit Funktionen wie automatischem Ein- und Ausfahren auf Autobahnen, Spurhaltung, automatischem Spurwechsel und Notbrems-Assistenten ausgestattet sein. Diese Offensive von BYD setzt Konkurrenten zusätzlich unter Druck. Branchenbeobachter erkennen bereits eine Verlagerung des Wettbewerbs. Nach Jahren eines intensiven Preiskampfes beim Verkauf neuer Elektroautos rückt nun die Hightech-Ausstattung der Fahrzeuge ins Zentrum.
Der intensive Wettbewerb könnte die bestehenden Probleme ausländischer Autohersteller in China weiter verschärfen. Wenn diese nicht zügig passende Modelle anbieten, drohen sie, noch stärker abgehängt zu werden. Selbst Tesla, das sich international als führend bei der Entwicklung autonomer Fahrfunktionen sieht, spürt diesen Druck deutlich.
Tesla hat in China diese Woche zwar eine kostenlose Testphase für sein Full Self-Driving (FSD)-System gestartet. Die Reaktionen der chinesischen Tesla-Fahrer auf die Testphase fallen jedoch gemischt aus. Zwischen März und April können berechtigte Fahrzeuge das FSD-System einen Monat lang kostenlos nutzen. In sozialen Medien werden viele Erfahrungsberichte geteilt, die von Begeisterung bis hin zu kritischen Anmerkungen reichen. Ein Tesla-Fahrer in Fujian berichtete, sein Wagen habe im Stadtverkehr von Putian selbstständig Fußgänger vorgelassen und sei E-Bikes ausgewichen.
Einige Fahrer in Shanghai lobten zudem, dass automatische Spurwechsel auf Autobahnen und Abbiegemanöver an Kreuzungen unter normalen Bedingungen flüssig abliefen. Andere Nutzer machten jedoch weniger positive Erfahrungen. So hatte das System in Chongqing Probleme, auf einem komplexen, mehrstöckigen Autobahnkreuz die richtige Fahrspur zu erkennen.
Auch der hohe Preis für das System nach der Testphase sorgt für Diskussionen. Einige chinesische Kunden empfinden 64.000 Yuan, umgerechnet rund 8.200 Euro, als zu teuer und zögern, eine derart große Summe für ein optionales Software-Upgrade auszugeben. Ein Tesla-Besitzer merkte an, dieser Betrag entspreche fast der Hälfte des Preises eines neuen chinesischen Elektroautos. Die Selbstfahr-Pakete chinesischer Hersteller seien zudem meist kostenlos. Klar ist bereits jetzt: Selbstfahr-Funktionen werden mit Sicherheit das wichtigste Thema der Shanghaier Automesse, die am 23. April beginnt.